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Artikelserie «Ausgebrannte Teams – Geschichten aus der digitalen Brandzone» / 3. Teamburnout im Kontext neuer Organisations- und Arbeitsformen

By 2. Dezember 2020Dezember 8th, 2020Aus der Praxis, Meinungen

Agilität, Holakratie, Lean Management, VUCA …: Diese Bestenliste der Beschleunigungskonzepte rast, im Namen der Innovation, durch den Unternehmensalltag. Gleichzeitig hecheln Mitarbeitende vielfältigen Anpassungsproblemen hinterher. Die daraus folgenden Umbau- und Abbauprozesse hinterlassen soziale und wirtschaftliche Bremsspuren.

Gelebte Vergeblichkeit – eine kleine Fallgeschichte

Beginnen wir mit dem Frust, dem Vorboten der Erschöpfung. Dem Management-Team eines Technologieunternehmens haben wir, nach einem erschöpfend widerständigen und ergebnislosen Sitzungstag, folgende These in den Raum geworfen: «Ihr treibt regelmässig eine neue (Management)Sau durchs Unternehmen. Ihr seid erschöpft vom Schweine hüten. Ihr schlachtet kein einziges Tier. Das ist Leistung ohne Ergebnis. Das ist Frust pur. Das ist gelebte Vergeblichkeit.» Darauf folgte eine lange ausatmende Stille. Als Abendhausaufgabe kam folgender Satz auf ein Flipchart: «Wie können wir das Vergebliche (auf)lösen?»

Einzelgespräche zeigten reale Sehnsüchte: Nach sinnvoller Tätigkeit, nach Inseln der Ruhe und Konzentration, nach Momenten des Flows und der Kreativität, nach weniger Angst vor dem Flop und mehr Anerkennung für Geleistetes, nach Zusammenarbeit mit Zugehörigkeit.

Das ständige Hasten, die Versuche aus vielen Fäden Sinnvolles zu weben, führte in diesem Team dazu, dass sie sich in guter Absicht verhedderten. Die ersten Kennzeichen der Erschöpfung sind die vielen Anfangsfäden ohne sichtbare Enden.

Stabil bleiben in der VUCA-Welt

VUCA ist nicht neu, sondern ein alter Begriff, entstanden in den 1990er Jahren. Er diente am United States Army War College dazu Multilateralität nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zu beschreiben und daraus strategische Handlungsoptionen abzuleiten. VUCA ist also keine Erfindung der Digitalisierung.

Was bedeutet VUCA? Sehen wir uns diese vier Begriffe an.

V – Alles ist volatil

Das Gegenteil von Stabilität. Statt Festigkeit erzeugt Digitalisierung im Kontext der Organisation Flüchtigkeit. Geschäftsmodelle der Vergangenheit werden (schneller) obsolet. Hier sollen eine identitätsstiftende Vision und eine starke Marke für Orientierung in der Flüchtigkeit sorgen.

U – Alles ist unsicher

Das Unwahrscheinliche wird stets befürchtet, selbst wenn es nie eintritt. Organisation und Menschen schlingern. Haltloses Driften soll mit einer nutzerzentrierten Führung und der Fokussierung auf den Menschen bewältigt werden. Sicherheit bedeutet sich auf sich selbst zu besinnen: auf den Menschen, auf den Kunden.

C – Alles ist komplex

Viele unklare Parameter beeinflussen Entscheidungen. Für Fokus und Übersichtlichkeit sollen OKR (Objectives und Key Results) sowie moderne Kommunikationstools sorgen. Also die simplen Fragen: Wo will ich hin? Was will ich erreichen? Was muss ich tun, um dort hin zu kommen? Wie kann ich das messen?

A – Alles ist ambigous (mehr-/vieldeutig)

Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind kaum mehr nachvollziehbar. Mehrdeutigkeit statt Eindeutigkeit ist die Regel. Nun soll in kürzeren Zyklen gedacht und gehandelt werden. Die Lösungen heissen Lean und Agilität. Tempo und Flexibilität sollen die Mehrdeutigkeit rechts überholen.

Wie lässt sich VUCA nun auflösen?
Die Managementtheorie hat eine Überlebensstrategie zur Hand.

  • Vision – stabilisiert Schwankungen
  • Understanding – Verständnis sorgt für Sicherheit
  • Clarity – Klarheit entzaubert die Komplexität
  • Agilität – Beweglichkeit überholt die Mehrdeutigkeit

Nachfolgend gehen wir auf die Agilität ein. Sie ist aus unserer Sicht das aktuell prägendste Management-Credo und ein Treiberin von Veränderung in der Organisation und Zusammenarbeit von Teams.

Agilität, Holacracy und so weiter als Antwort

Agilität und alle damit verbundenen neuen Modelle der (Arbeits-)Organisation prägen Unternehmen heute massgeblich. Es ist der Versuch der aktuellen sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Dynamik stets einen Schritt voraus zu sein.

Diese neuen Modelle zielen darauf ab Autorität und Entscheidungsmacht zu teilen. Hierarchie soll nicht mehr über Personen und deren persönliche Funktionsspielräume ausgelebt werden. An ihre Stelle treten, im Fall von Holacracy, Entscheidungskreise die Rollen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten beschreiben. Die von den Mitarbeitenden entwickelte Holacracy-Verfassung dient als Richtungsgebendes Regelwerk. Das Credo ist dabei «Arbeit zu organisieren und nicht den Menschen.». Die Folge ist eine «Kollektivierung» der Verantwortung z.B. auch von Arbeitgeberfürsorgepflichten.

Alle Modelle teilen die Logik der Agilität, die in ihrer heutigen Form auf das Agile Manifest zurückführt. Dieses Modell stammt aus der Softwareentwicklung, hat sich seit den 1970er Jahren weiterentwickelt und wurde 2001 im Agilen Manifest niedergeschrieben.

Agile Methoden dienten und dienen dabei folgender Logik: Kostenkurven sollen flach bleiben und Änderungen oder neue Anforderungen sollen mit wenig Aufwand (schneller) berücksichtigt werden können. Produkte sind kontinuierlich im Takt mit den Bedürfnissen der Nutzenden zu entwickeln. Wobei Gesamtziel, Zeit und Kosten stets im Blick bleiben und keine ständig verhandelbaren Variablen sind.

Agilitäts- und Leanlogiken unkritisch auf jede Organisation anzuwenden scheint uns wenig sinnvoll. Nicht jede Aufgabe passt zu agilen Arbeitsprinzipien. Der Umbau hinterlässt dort deutliche Bremspuren, wo dies nicht berücksichtigt wird. Richard Sennett schreibt in seinem Buch «Zusammenarbeit» über Reparaturstrategien. Agilität würde er als Umbaustrategie beschreiben: «… Bei radikalen Reparaturen dieser Art ist Improvisation das entscheidende Moment. Meist besteht sie aus kleinen, überraschenden Veränderungen, von denen sich später zeigt, dass sie doch grössere Folgen haben. … Wenn nicht jedes Detail der Reparatur im Voraus festgelegt ist, gibt es mehr Raum für radikale Experimente….» – mit weitreichenden sozialen Folgen.

Falsch verstandene Agilität sorgt für Dauerdruck. Unter diesem Druck korrodieren Leistungsfähigkeit und Selbstfürsorgefähigkeiten. Denn die Logik von Lean und Agilität baut auf hohe und schnelle Leistungsbereitschaft. Wer dem nicht standhalten kann, wird zum «wunden Punkt» im Team. Dabei mangelt es selten an fachlichen Fähigkeiten, sondern eher an der Fähigkeit als Team und als Einzeln*er gesunde Grenzen zu setzen.

Der Fluch der Zusammenarbeit

Intensives Team-Miteinander galt lange als Wunderwaffe: Mehr Team, mehr Austausch, mehr Kontakte, mehr Erfolg.

Ein Artikel im Economist beschrieb die Situation wie folgt: «In der modernen Geschäftswelt steht Zusammenarbeit neben Gottesfurcht. Firmen schieben ihre Mitarbeiter in Grossraumbüros, um glückliche Begegnungen zu fördern. Manager verpflichten ihre Untergebenen neue Hilfsmittel für die Zusammenarbeit wie Slack, Trello, Whatsapp, Jiira, Teams, … zu den bereits vorhandenen wie E-Mail und Telefon hinzuzufügen. Management-Denker drängen die Mitarbeiter, gute Unternehmensbürger zu sein und sich ständig gegenseitig zu helfen.

Die Art und Weise der Zusammenarbeit ist sinnvoll. Der Sinn von Organisationen besteht darin, dass Menschen kollektiv Dinge erreichen können, die sie einzeln nicht erreichen können. Wenn Sie mit Ihren Kollegen sprechen, können Sie wertvolle Einsichten gewinnen. Der Austausch mit Menschen aus verschiedenen Abteilungen kann nützlich sein. Das rechtfertigt kaum, Menschen zu zwingen, lärmintensive Räume zu teilen oder sie mit elektronischen Nachrichten zu bombardieren. Seltsamerweise hat der Kult der Zusammenarbeit genau dort seinen Höhepunkt erreicht, wo der Wert der ununterbrochenen Konzentration auf dem Höhepunkt ist: bei der Wissensarbeit

Bereits 2010 sprachen Forschende das erste Mal vom «collaboration curse», dem Fluch der Zusammenarbeit. Eine Studie von Sophie Leroy bestätigte beispielsweise, dass permanente Störungen dazu führen, dass Ziele nicht mehr in der Zeit und in der notwendigen Qualität erreicht werden. Dies gilt besonders für Ziele und Aufgaben die die Mitarbeitenden als «Pflicht-/Ordnungsziele» betrachten. Ständige Unterbrechungen führen zu Verlust der Aufmerksamkeitskontrolle. Offene Türen, Open Space, Workshops, ständige Erreichbarkeit sind das Eine, Wirkung und Zielerreichung das Andere. Wir Menschen sind soziale Wesen und zur Kooperation fähig. Gleichzeitig benötigen wir fokussierte Zeit mit uns selbst: Die Möglichkeit uns ungestört und konzentriert mit einem Thema, einer Aufgabe und einem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Diese fokussierten Momente führen im besten Fall zu dem von Csikszentmihalyi beschriebenen befriedigenden Flow-Erleben.

Beim Fluch der Zusammenarbeit treffen nun zwei Widersprüche aufeinander: die Idee der Zusammengehörigkeit und der intensiven. Zusammenarbeit und die Idee der fokussiert konzentrierten Arbeitszeit zur Erreichung gesetzter Ziele. Besonders Kreativ- und Hochleistungsteams leiden heute unter diesem Widerspruch.

Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeitenden

Beschäftigen wir uns nochmals mit unserem Management-Team. Wie haben sie nun die Vergeblichkeit (auf)gelöst? Sie haben «Schweine geschlachtet und ein Schlachtfest gefeiert». Der Weg dorthin war schmerzhaft. Er bedeutete auch: Wenn etwas Neues hinzukommt muss etwas anderes abgeschlossen oder abgeschrieben werden. Hierfür entwickelte das Team für die Umsetzung sinnvolle Strategien und Massnahmen. Dazu gehörte auch in den Management-Team Meetings Raum für das Reden über Überlastung und Überforderung zu schaffen und gleichzeitig persönliche Strategien zur Bewältigung zu teilen. Im Sinne von Reden und Zuhören, statt Schweigen.

Aus unserer Sicht ist in vielerlei Hinsicht folgende Frage ungelöst: Wer trägt in diesen neuen Organisations- und Arbeitsformen die Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeitenden? Versagt das Team als führendes Kollektiv, so versagt auch die Arbeitgeberfürsorgepflicht.

Unsere Erfahrungen sowie Forschungsergebnisse zeigen: Gruppen zeigen Zerfallserscheinungen, wenn Druck und Überforderung zum Normalzustand werden. Unter diesen Bedingungen erlahmen Schutz und Unterstützungsfunktionen. Druck wird an Einzelne weitergegeben. Einzelne fallen in der neuen Arbeitswelt aus dem Arbeitsprozess, weil die Integrationsleistungen durch die Gruppe zum Teil hinfällig geworden sind. Im herrschenden Dauerdruck wird das häufig übersehen und gebilligt. Es gibt stets Wichtigeres und diese Themen sind für Führungskräfte anspruchsvoll und damit auch «lästige Probleme».

Dass dies folgenreich sein kann schrieb Richard Sennett bereits 1998: «Ein Unternehmen, das Mitarbeitenden keinen tiefen Grund gibt sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten.».

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